Buchkritik Ben Hartman „The Lean Micro Farm“

Marktstand mit Gemüsekisten
3Sterne

Mit „The Lean Farm“ hat Ben Hartman eines meiner Lieblingsbücher zum Thema kleine, landwirtschaftliche Betriebe geschrieben. Deshalb habe ich mir mit großer Vorfreude sein neues Buch „The Lean Micro Farm“ gekauft.

Zum Inhalt

Während es in „The Lean Farm“ um seine Erfahrungen damit ging, die Prinzipien des Lean Management aus dem industriellen Bereich auf eine kleine Farm (1 acre = 4.000m2) zu übertragen, beschreibt Hartman im neuen Buch die Erfahrungen beim Aufbau einer neuen, noch kleineren Farm in einem städtischen Umfeld.

Die neue Farm hat lediglich 833m2 Produktionsfläche (1/3 acre). Auf dieser Fläche erwirtschaften laut Hartman in einer 35 und weniger Stundenwoche der Autor und seine Frau mit Angestellten(!) das Einkommen für die vierköpfige Familie.

Im Buch beschreibt Hartman die Prinzipien, Werkzeuge sowie die Produktions- und Vertriebsmethoden, die seine Frau und er bei Planung und täglichem Betrieb der Farm anwenden.

In einem eigenen Kapitel entwickelt er den Businessplan für einen Gemüsebaubetrieb im Nebenerwerb auf 464m2 Fläche.

Meine Bewertung

Die Verwendung von Lean im Titel ist etwas irreführend. Wo Hartman in „The Lean Farm“ auf 240 Seiten ausführlich Lean Prinzipien diskutierte, schweift er auf 442 Seiten in „The Lean Micro Farm“ doch häufig ab und berichtet mehr von den persönlichen Erfahrungen beim Aufbau der neuen Farm. Damit produziert er aus meiner Sicht auch viel Muda.

Einserseits mag es nützlich sein, für wirklich jedes Produkt Angaben zu Modell und Hersteller samt Link zu erhalten, andererseits kommt das manchmal für mich auch wie ein Vermarkten von Affiliate Links rüber. Bei dem Link zu den Gewächshäusern wird es sogar explizit erwähnt.

Hartman macht viele präzise Angaben zu Pflanzterminen. Dabei weist er nicht wirklich darauf hin, dass diese Termine vollständig von der geografischen Breite und den jeweiligen klimatischen Bedingungen des Betriebes abhängen. Insbesondere wer als Anfänger ganz genau dem Kapitel zum Aufbau einer Farm auf 464m2 (5.000 ft2) folgt, könnte böse überrascht werden.

Die Übertragbarkeit der Erkenntnisse und Prozesse ist generell ein Problem. Auf Seite 290 nennt der Autor Preise für sein Gemüse für gewerbliche Kunden und für Endkunden. Grünkohl erlöst z.B. 8$ bzw. 10$ pro Pfund (0,454 kg). Bei Spinat ist es sogar 11$ und 14$ pro Pfund (0,454 kg –> 30,84$/kg ~ 28,17€/kg).
Zwei teurere Anbieter im Internet rufen heute (10.01.2024) in Deutschland weniger als 18€ für ein Kilogramm bio Babyspinat auf, ein günstigerer sogar nur 8€ – außerhalb der Saison! Bezogen auf den letzten Preis eines Hofladens in Nordrhein-Westfalen erlöst Hartman 20€ mehr pro Kilogramm. Damit ist sein Businessplan für eine nebenberufliche Landwirtschaft in Deutschland so nicht anwendbar.

Wo Hartman auch für deutsche Micro-Farmer aus meiner Erfahrung interessant ist, sind seine Aussagen zur Wirtschaftsform mit tiefem Kompostmulch (No Dig), die Prinzipen zur Reduzierung auf das Wesentliche und seine Zeitansätze, die alle gut mit meinen eigenen Erfahrungen übereinstimmen. Die Beschränkung auf ein Minimum an Handwerkzeugen kann ich auch gut nachvollziehen. Gut sind seine Tipps zum Aufbau von tiefen Kundenkontakten. Sein als Kühlung im Sommer und Anzuchtkammer im Winter/Frühjahr genutzter Kühlschrank ist eine tolle Idee, die allerdings auch schon im alten Buch enthalten ist.

Fazit

Wer „The Lean Farm“ kennt, wird interessiert lesen, wie Hartman und seine Frau das Prinzip konsequent weiter entwickelt haben. Das neue Buch bietet außerdem viele kleine Anregungen, kann aber allein – trotz des größeren Umfangs – nicht stehen. Europäische und besonders deutsche LeserInnen müssen viel eigene Transferarbeit leisten, um den Inhalt in den hiesigen Kontext zu stellen.

Ben Hartman, The Lean Micro Farm, Chelsea Green Publishing, 2023, 20,95€ (eBook, DRM)

Beitragsbild: mk.s auf Unsplash